Ein wegweisendes Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Erbschaftsteuer bringt auch für zahlreiche Industrieunternehmen erhebliche Erleichterungen mit sich. Im Zentrum des Urteils steht der sogenannte 90-Prozent-Einstiegstest, den Unternehmen bestehen müssen, um in den Genuss von erbschaftsteuerlichen Vergünstigungen zu kommen. Bislang führte dieser Test in vielen Fällen dazu, dass selbst gewerblich tätige Unternehmen von der Steuerbegünstigung ausgeschlossen wurden, sagt die Münchner Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft Linn Goppold, Mitglied im bundesweiten HLB-Netzwerk. Das Problem: Geldforderungen und andere Finanzmittel, die als Verwaltungsvermögen gelten, ließen die Verwaltungsvermögensquote schnell über die kritischen 90 Prozent steigen.
„Mit dem neuen Urteil ermöglicht der BFH den Unternehmen nun, betrieblich veranlasste Schulden von den Finanzmitteln abzuziehen“, erklärt Steuerberater und Rechtsanwalt Carsten Ruder. „Dies senkt die Verwaltungsvermögensquote und ermöglicht mehr Unternehmen, die Steuervergünstigung in Anspruch zu nehmen.“ Die Finanzverwaltung hat schnell auf dieses Urteil reagiert und gleichlautende Erlasse in allen Bundesländern veröffentlicht. Sie erweitert damit den Anwendungsbereich über Handelsunternehmen hinaus auf alle Rechtsformen und Branchen. Voraussetzung ist allerdings, dass das Vermögen des Betriebs oder der nachgeordneten Gesellschaften nach seinem Hauptzweck einer gewerblichen, freiberuflichen oder land- und forstwirtschaftlichen Tätigkeit dient. Somit sei besonderes Augenmerk auf mehrstufige Beteiligungsstrukturen zu legen, da für jede Gesellschaft eine Hauptzweckprüfung vorzunehmen ist, so Ruder weiter.
Die Rechtsprechung des BFH und die darauffolgenden Erlasse der Länder bieten nun eine Basis für eine verfassungskonforme Anwendung des 90-Prozent-Einstiegstests, indem sie eine Verrechnung der vorhandenen Finanzmittel mit den Schulden ermöglichen. „Das Urteil und die neuen Ländererlasse schaffen endlich mehr Rechtssicherheit und Gerechtigkeit für Unternehmen, die eine Nachfolgeregelung planen. Viele Betriebe, die den Einstiegstest bisher nicht bestanden hätten, können nun von der Vergünstigung profitieren“, sagt Ruder. „Denn nun ist der Weg frei für eine ganze Reihe von Fällen, in denen eine geplante Schenkung bewusst hinausgezögert wurde, weil sie am gesetzlichen 90-Prozent-Einstiegstest gescheitert wäre.“
Die neue Regelung ist besonders relevant für komplexe Unternehmensstrukturen mit mehreren Beteiligungen, da für jede Gesellschaft eine separate Hauptzweckprüfung erforderlich ist. Dennoch haben die gleichlautenden Ländererlasse nicht alle Probleme beseitigt, einige Fragen blieben noch offen, so Ruder. „Doch der Weg für eine faire Besteuerung und die Schonung von Unternehmen im Generationenwechsel ist deutlich geebnet.“
Abbildung: vogelwild und andres